|
Die Kugel fällt
|
⓿❻❹ Jedes Jahr am 22. Dezember um 9:00 Uhr beginnt im ehrwürdigen Opernhaus Teatro Real in Madrid die Ziehung der Gewinnzahlen der spanischen Weihnachtslotterie. Es ist, wie wenn die spanische Fussball-Elf gegen einen prominenten Gegner antritt. Alle fiebern mit, sei es in der Bar, im Restaurant oder zuhause am Fernseher. Die Zeremonie dauert drei bis vier Stunden, da auch viele kleine Preise ausgelost werden. Der Hauptgewinn, genannt «El Gordo» (der Dicke), beträgt vier Millionen Euro für ein ganzes Los. Er wird 172 Mal ausgezahlt, da jede einzelne der 100’000 Losnummern ebenso oft verkauft wird. Aus zwei Trommeln rollen die hölzernen Lottokugeln. Die grosse Trommel enthält die Kugeln mit den Losnummern. Die zweite, kleinere Trommel enthält die Kugeln mit der jeweiligen Höhe des Gewinns. Aus beiden Trommeln rollt jeweils gleichzeitig eine Kugel in eine Glasschale. Die Ergebnisse werden singend durch die Schüler des ehemaligen Waisenhauses und heutigen Colegios San Isidoro in Madrid verkündet. Interessant ist die späte Gleichberechtigung beim Verkünden der Lottozahlen. Erstaunlich für das ansonsten in sozialen Dingen fortschrittliche Spanien, die Mädchen dürfen erst seit 1984 die Glückszahlen der Weihnachtslotterie vortragen. Die staatliche Lotterie »Sorteo de Navidad« hat eine über 200 jährige Tradition und ist in seiner Art die grösste der Welt. Don Gervasio Gasco, der findige Generalkapitän der andalusischen Gemeinschaft Cadíz Geld für den Unabhängigkeitskrieg gegen Napoleon Bonaparte (1769-1821) beschaffen, ohne die ordentlichen Steuern zu erhöhen. Er verteilte 25’000 nummerierte Holzbälle an Bürger, die bereit waren, pro Holzkugel 40 spanische Dollar für den Kauf von Waffen zu erwerben. Der Hauptgewinn der Lotterie betrug 8’000 spanische Dollar. 1892 erhielt die Lotterie ihren offiziellen Namen, und die Ziehung mit den zwei Trommeln und den singenden Ergebnissen besteht seit 1913.
|
Warteschlange vor einer Verkaufsstelle
|
Bereits ab dem Sommer und bis um 8:00 Uhr morgens vor der Ziehung am 22. Dezember können die Lose beim lokalen Losverkäufer, in vielen Geschäften, Bars und Restaurants gekauft werden. Ein ganzes Los kostet 200€. In der Regel erwerben die Spanier aber nur Losanteile, die es bereits ab 20€ gibt. Dabei handelt es sich um Zehntellose – die sogenannten décimo. Oft teilen sich Dorfgemeinschaften, Vereine oder Familien ein ganzes Los. Es gibt mehrere Gewinnklassen. Die 100’000 Losnummern werden in mehreren Serien gedruckt, dadurch erhöhen sich die Gewinnchancen. Hinzu kommt, dass jede Gewinnklasse Echtgeld Preise bereithält. Vom Jackpot – dem El Gordo – über den zweiten Preis – Segundo – hin zur Gewinnklasse, die den Einsatz zurückgibt. Ab einer Summe von 2’500 Euro behält die staatliche Lotteriegesellschaft den Anteil von 20% an Steuern. Ebenfalls ist die Einkommensteuer zu entrichten. Trotz dieser Abgaben bei den höheren Gewinnen beteiligen sich über 70% der spanischen Bevölkerung an der Lotterie.Eine etwas weniger bekannte Möglichkeit, mehrere Millionen Euro zu gewinnen, ist die Lotería del Niño vom 6. Januar. An diesem Tag erhalten die Kinder traditionsgemäss ihre Weihnachtsgeschenke. Diese Lotterie ist kleiner, schüttet ebenfalls hohe Summen aus und verspricht intakte Gewinnchancen. Kultstatus haben beide Lotterien.