❶❾⓿ Reisen benötigt auch in Spanien zuweilen “Biss”, etwa wenn es heftig regnet oder wenn im Winterhalbjahr der dichte und feuchte Nebel die Sonne nicht durchlassen will. Hilft in kleineren Orten ein gutes Buch mit einem Cortado in der Bar über die doch etwas langweiligen Stunden hinweg, spaziere ich in den grösseren Städten, wie die Spanier es tun, mit Wonne durch den Corte Inglés, eine “Stadt in der Stadt” mit beeindruckender Geschichte.
Ein pfiffiger Herrenschneider eröffnete 1890 im Herzen von Madrid ein Atelier für Geschäftskleidung für modebewusste Männer. Die Anzüge waren aus qualitativ hochstehendem Stoff perfekt genäht. Die Machart richtete sich nach der damaligen englischen Mode, etwas tailliert, und doch nicht zu eng, so richtig chic. 1935 übernahm der Kaufmann Ramón Areces Rodriguéz (1904-1989) die Herrenschneiderei, er war gerade 35 Jahre alt. Sein Onkel lieh ihm etwas Geld, denn selbst stammte er aus einer nicht begüterten Familie. Er gab dem Geschäft den Namen El Corte Inglés (=der englische Schnitt), und es begann eine seltene Erfolgsgeschichte. Bald konnte er weitere Immobilien kaufen, das Sortiment zum Kaufhaus erweitern und eine Aktiengesellschaft gründen.
Ramón und sein Kaufhaus genossen einen exzellenten Ruf. Als er 1966 die Kundenkarte einführte, standen bereits die Filialen in Bilbao, Sevilla und Madrid. El Corte Inglés wuchs munter weiter mit Neugründungen des Reisebüros und einer Abteilung für Lebensmittel. 2001 eröffnete die erste Filiale in Lissabon, und als die englische Kette Marks & Spencer die Geschäfte in Spanien verkaufen wollte, griff El Corte Inglés zu. Früh schon wurde auf Onlinehandel gesetzt. Heute werden pro Jahr mit rund 82’000 Mitarbeitenden in den 94 Standorten 16 Milliarden Umsatz mit Waren und Dienstleistungen erwirtschaftet und 2’000 kostenfreie Kulturevents zu Musik, Kunst und Literatur angeboten. In der obersten Etage befindet sich das Restaurant, meist mit Panoramablick. Bei Regenwetter lässt sich hier ein feines Tapas geniessen.
📜 Was mein Herz begehrt, dachte sich der ehemalige König Juan Carlos, noch in Amt und Würden. Er entschied, seine neue Silla de Trono (königlicher Bürostuhl) nicht in einer englischen, dafür spezialisierten Manufaktur, sondern im Corte Inglés zu kaufen. Seine bisherige stammte aus dem 18. Jahrhundert, hatte Schweissgeruch und musste auf der einen Seite mit einem Münze ausgeglichen werden. Auf dieser Münze war sein Kopf abgebildet. Dem sei nun doch zuviel. Er wurde in den Corte Inglés zum Probesitzen chauffiert und wählte einen modernen Bürostuhl mit Rollen, einer Öffnung für Bierdosen und ein paar weiteren Extras aus. Den Zeitpunkt wählte er verantwortungsvoll zum Sommer-Ausverkauf mit dem gleichen Rabatt wie für alle anderen Kunden.