Sonnenblumenkerne kauen - spanischer Brauch

Sonnenblumenfeld in der Sierra de la Horconera

⓿❻❸  Als ich erstmals spanischen Boden betrat, staunte ich nicht schlecht. Beim Zusammensein vor der Bar, in den Pausen in der Schule, während des Fussballspiels oder einfach aus Langeweile kauten die Menschen hier kiloweise "Pipas" (Sonnenblumenkerne). Und alle taten es: die Jungen, die Alten, die Frauen, die Männer, einfach alle. Die Technik des kauens - man nimmt einen Sonnenblumenkern in den Mund, zerbeisst die Schale, spukt diese aus und kaut den Kern - geschah in einer enormen Geschwindigkeit. Im zivilisierten Raum sollten die Schalen nicht auf den Boden gespuckt, sondern fein säuberlich auf ein Papier gelegt werden. Das faszinierte mich, und ich begann nebst dem Üben des kauens über diese Kultur zu recherchieren. 

Las Pipas
Die Sonnenblumen kamen während der Eroberungszügen nach Europa. Erst wurden sie zur Zierde gepflanzt, bis sich herausstellte, dass daraus Öl gewonnen werden kann und auch die Kerne einen gewissen Wert haben. In Russland kauten die Bauern die Kerne als kleine Zwischenmahlzeit, und in den 1920-er Jahren verbreitete sich dieser Brauch bis nach Spanien. Hier kam jemand auf die Idee, die Kerne zu rösten und zu salzen. So wurden sie in den damals rege besuchten Stierkampfanlässen verkauft, verbreiteten sich rasch und blieben als günstige Zwischenverpflegung populär bis Heute. 

Ich frage mich schon, weshalb gerade in Spanien dieser Brauch die letzten 100 Jahre überdauert hat. Vermutlich ist es die spezielle Machart mit dem rösten, weil es die Kerne schmackhaft macht und sie zu jedem Getränk passen. Vielleicht sind es auch die schönen Erinnerungen an traditionelle, spielerische Momente der Kindheit und Jugend, an die man sich immer gerne erinnert. Gemäss einer 2018 veröffentlichen Studie kauen zwei Drittel der spanischen Bevölkerung regelmässig Sonnenblumenkerne.