San Millán und das erste spanische Liebesgedicht

❶❽❼ In der Abgeschiedenheit des kleinen Dorfes San Millán de la Cogollas an der Südflanke der Comunidad La Rioja schrieb im 11. Jahrhundert ein junger Mönch neben einer lateinischen Abschrift den Text in der Umgangssprache der Bevölkerung. Im Kloster entstand einige Aufruhr, denn es handelte sich um ein volkstümliches Liebesgedicht, ein Affront für die alt ehrwürdigen Klosterbrüder. Heute wissen wir, es war der erste Text in spanischer Sprache, deren Entwicklung hier seinen Lauf nahm.

Die Geschichte der beiden Klöster in San Millán, die Weltkulturerbe der UNESCO sind, nahm seinen Anfang bereits 600 Jahre vor dem mutigen Gedichteschreiber. 473 kam der Hirtenjunge Millán hier zur Welt und lernte die Schafe seines Vaters vor dem Iberischen Wolf in den nahen Wäldern zu beschützen. Mit 40 Jahren wurde er Priester und Abt. Weil er die Einnahmen des ihm übertragenen Klosters den armen Leuten verteilte, wurde er wegen Veruntreuung verurteilt und musste die Abtei verlassen. Er kehrte in seinen Heimatort zurück und wurde Einsiedler. Über dem Dorf in einer Waldlichtung empfing er milde Gaben und spendete Trost. Seiner Aura des guten Geistes folgten bald Pilger und Gleichgesinnte. 574 starb er im Alter von 101 Jahren als Heiliger. Sein Leichnam wurde in einen Sarkophag gebettet und rund um ihn eine kleine Abtei gebaut, das Monasterio de Suso (oberes Kloster).

König García Sanchez von Navarra (1016-1054) huldigte den heiligen Millán und besuchte die Abtei regelmässig vor einem Krieg, den er zu gewinnen suchte. Kurz vor seinem Tod befehligte er, in der Ebene, mit Sicht auf die Abtei ein herrschaftliches, dem Geist Milláns gerecht werdendes Kloster zu errichten. Es erhielt den Namen Yuso (unteres Kloster). Im Gegensatz zur Abtei in der Waldlichtung wo gläubige Männer und Frauen zusammen wohnten, erhielt Yuso eine strenge benediktinische Herrschaft mit Zölibat, strenger Lehre und straff geführten religiösen Alltag. Daraus entstand ein unschätzbarer Nachlass von Rezepturen in der Apotheke. In der Bibliothek befindet sich eine Büchersammlung, um diese zu beschriften wurde Leder von 2’000 Kühen verwendet. Ebenfalls wurde hier eine vollständige Liedersammlung der spanischen Mönche des Mittelalters erstellt.

Die Ausstrahlung der oberen Abtei Suso schwand mit der Zeit. 1803 gab es im unteren Kloster Yuso eine Ruptur, die Truppen von Napoleon vertrieben die Benediktiner aus ihrer Wirkungs- und Lebensstätte. 70 Jahre später wurde Yuso von den Augustinermönchen neuen Atem eingehaucht. Die Arbeit, das Gebet, die Seelsorge und die Gastfreundschaft sind ins Kloster eingekehrt. Es wurde ein Hotel eröffnet, auch die nahe gelegene Mühle lädt zum einfachen Übernachten ein. Die Bücher, ganz besonders das Liebesgedicht, werden sorgsam gehütet, und wenn es dir gelingt, nicht an einem der klösterlichen Feiertage hier zu sein, geniesse die geweihte Atmosphäre.

📜 Mit den Zeilen des Mönchs gilt San Millán de la Cogollas als Wiege der spanischen Sprache. Sie wurde laufend verfeinert und angepasst bis 1605 Miguel de Cervantes mit dem Roman über Don Quijote DAS klassische spanische Werk verfasste. Mit der Kolonialisierung nahm die Sprache den Weg um die Welt, wo 500 Millionen Menschen sie täglich gebrauchen. Wenn doch der junge Mönch gewusst hätte, was er mit dem Liebesgedicht auslöste, ich hoffe sehr, er würde sich darüber freuen.